28.07.2016

Filme vom Scheitern der Männer

Für die Redaktion "Gegenwartskulturen" der Universität Duisburg-Essen rezensierte Ulrich Bahrke den Band "Die Coen-Brüder", der aus dem Seminar Im Dialog: Filmtheorie und Psychoanalyse aus dem Jahr 2014 entstanden ist:

 

Was produziere ich in mir beim Betrachten dieses Films? Was habe ich verdrängt und kann es als Zuschauer dieses Filmes wiederfinden? Inwiefern kann ich überhaupt den Film zu meinem Psychoanalytiker werden lassen, dessen Deutungen ich mich im Film-Schauen aussetze? Und: Was interessiert diesen Regisseur – an der Welt, an der Zeit, am Menschen?

Mit Filmen in die äußere und meine innere Welt hineindenken: Mannheim ist schon länger zum jährlichen Ort eines Regisseur-bezogenen, anspruchsvollen Filmdiskurses geworden; Filmtheoretiker und Psychoanalytiker schauen sich ein Wochenende lang Filme eines von ihnen ausgewählten Regisseurs an. Diese werden im interdisziplinären Dialog in diskutierten Vorträgen interpretiert. Dazu wird zu übergreifenden, auf den betreffenden Regisseur bezogenen Themen referiert. Inzwischen regelmäßig wird aus diesen Beiträgen dann ein Band veröffentlicht, der durch eingeworbene Aufsätze die Erweiterung zu einem Reader bekommt. 2014 widmete sich das Filmseminar den Brüdern Joel und Ethan Coen (geb. 1954 und 1957).

Um es vorwegzunehmen: Wer die Filme der Coen-Brüder kennt, wird in dieser Publikation eine intensive Vertiefung und bereichernde Erweiterung seines cineastischen Blickfelds erleben. Wem die Filme nicht vertraut sind, kann neugierig auf sie werden, sie anschauen und unterdessen den Band mit Gewinn lesen. Wer die Filme jedoch weder kennt noch sieht, ist von der Lektüre schlichtweg überfordert.

Als das Buch erschien, blickten die Verfasser auf 16 Filme der Coen-Brüder in 30 Jahren zurück. Zu mehr als der Hälfte von ihnen finden sich Besprechungen, namentlich zu Blood Simple, Barton Fink, Fargo, O Brother Where Are You?, The Man Who Wasn`t There, No Country for Old Man, A Serious Man und True Grit. Dies geschieht zum einen in einer psychoanalytischen Reflexionsweise anhand von Fragen wie: Was macht der Film mit mir als Zuschauer? Was wird durch diesen Film in mir als Mitproduzenten beim Erleben des Leinwandgeschehens hergestellt? Zum anderen erfolgen zahlreiche Querverweise auf Filme vieler anderer Regisseure. So eröffnet sich gleichsam ein weiter cineastischer Himmel mit Sternbildern und Milchstraßen, der für Kenner einen Fundus überaus reichhaltiger Anregungen darstellt, für Nichtkenner indes eine frustrierende Verwirrung auslösen mag. Allerdings sind solche Querverweise in den insgesamt 12 Beiträgen unterschiedlich intensiv vorhanden, denn manche Beiträge hangeln sich allgemeinverständlicher stringent am Filmstoff entlang. Dabei helfen viele Fotos aus den besprochenen Filmen, Szenen in Erinnerung zu rufen.

Was die zeitgemäße Psychoanalyse hinter sich gelassen hat, ist eine „Analyse“ der Regisseure. Diese Praxis aus ihren Anfängen, da Künstlern oder Kunstwerken Theoriebausteine der Psychoanalyse gewissermaßen übergestülpt wurden, gilt schon länger als unseriös: Psychoanalytiker können immer „nur“ eine Beziehung analysieren: diejenige zu und mit einem Patienten oder – wie hier – diejenige zu und mit einem Film – anhand der durchweg präsenten Frage, was das Gegenüber an Gefühlen, Gedanken, Assoziationen auslöst, um sie dann auf ihre Bedeutungen hin zu reflektieren.

So erfahren wir zwar, dass die Coen-Brüder in A Serious Man (2009) den autobiografischen Hintergrund ihres jüdischen Herkunftsmilieus am deutlichsten aufgegriffen haben, ansonsten wird in Bezug auf sie der Frage nachgegangen, was diese Regisseure wohl an der Welt, an der Zeit, am Menschen (bislang) interessiert haben mag. Als eine Art Leitthema wird männliches Scheitern herausgearbeitet, die Darstellung männlicher Verlierertypen, seien es nun Verbrecher, Western-„Helden“ oder Intellektuelle: Männer, die – ausgehend von ihren unreflektierten Wünschen und Begierden – durch ihre Fehlhandlungen ihr Scheitern selbst herbeiführen – und uns als Zuschauer in eine vermeintlich überlegene Position bringen, bis sich „der wissende Blick auf das Geschehen in das Gefühl verwandelt, den Überblick zu verlieren. Die Lacher werden kürzer und häufiger abgelöst von Phasen der Verwirrung. Am Ende lacht man fast nur noch aus Verwirrung.“

Das besonders Bereichernde dieses Bandes ist, wie erwähnt, die interdisziplinäre Annäherung, weshalb von filmtheoretischer Seite z. B. auch der spezifische Bezug der Coen-Brüder zum amerikanischen Film Noir reflektiert wird oder auch deren handwerkliches Herangehen: Die Coens wählen in der Regel zu ihrem Stoff einen bestimmten Bundesstaat und reichern ihn gleichsam mit Film-, Literatur- und Musikgeschichten der betreffenden Region an, um ihre Anliegen möglichst komplex zu veranschaulichen, z. B. die Dekonstruktion des klassischen Western, die Reflexion traumatisierter Männer des Vietnamkrieges, den Wandel der amerikanischen Gesellschaft nach 09/11 – einhergehend mit dem Teufelskreis der Einschränkungen der Demokratie zum Zwecke der Bekämpfung des Terrorismus, der die Demokratie bekämpft –, mit Analysen der zeitgenössischen Kultur, ihrer Moral und der unklarer werdenden Verschränkung von „gut“ und „böse“.

Es ist Konsens des Bandes, dass die Coen-Brüder uns zu einem entdeckenden Blick auf unsere Welt einladen und dass es sich lohnt, beidem zugleich nachzugehen, nämlich auf den Film und in uns selbst hineinzublicken. Insofern macht das Buch dem Lesen Konkurrenz: Bei seiner Lektüre kommt einem unweigerlich der Wunsch nach Kino.

16.06.2016

Der Traum jedes Angestellten

Am 07. Juni 2016 berichtete die Rheinpfalz über das James-Bond-Filmseminar im Cinema Quadrat

 

Von Stefan Otto

Ein Wochenende lang hat das Mannheimer Cinema Quadrat im Zeichen des Agenten 007 James Bond und der langlebigen Filmreihe gestanden, die von seinen Einsätzen in aller Welt erzählt. Das „James- Bond-Filmseminar“ bot Gelegenheit, sieben Filme zu sehen, sechs Vorträge zu hören und Phänomen, Mythos und Kult zu studieren.

Das psychoanalytisch ausgerichtete Filmseminar, alljährlich im Frühjahr, und das Filmsymposium im Herbst sind seit vielen Jahren etablierte Veranstaltungen des Cinema Quadrat. Im Vergleich zu diesen regelmäßig stattfindenden Tagungen war das Bond-Seminar nur mäßig besucht. Möglicherweise war es zu kurzfristig angekündigt worden, vielleicht gehören Blockbuster-Filme wie die James- Bond-Reihe aber auch eher ins Cinemaxx und Cineplex, als in ein Programmkino, dessen Stammpublikum Arthouse-Filme schätzt und erwartet. Hier nun, in der ersten Kooperation des Cinema Quadrat mit dem James Bond Club Deutschland, den der Mannheimer Rechtsanwalt Andreas Pott leitet, fanden aufgeschlossene treue Besucher des Kommunalen Kinos und eingeschworene Fan-Club- Mitglieder zusammen.

Zu sehen gab es sechs 007-Filme aus fünf Jahrzehnten, mit jedem Bond-Darsteller einen: „Goldfinger“ mit Sean Connery, „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ mit George Lazenby, „Der Spion, der mich liebte“ mit Roger Moore, „Der Hauch des Todes“ mit Timothy Dalton, „Die Welt ist nicht genug“ mit Pierce Brosnan und „Skyfall“ mit Daniel Craig. Zu beobachten war die über 50 Jahre währende Entwicklung vom kraftvollen Kämpfer Connery über den nachdenklicheren Lazenby zum augenzwinkernden Gentleman Moore. Die Filme mit Dalton, Brosnan und Craig entstanden, wie der Psychoanalytiker Andreas Hamburger in seinem Vortrag „Vom Gentleman zum Schmerzensmann“ zeigte, unter dem Eindruck von Aids, dem Fall der Mauer und den Terroranschlägen auf das World Trade Center. Heute, erklärte er, sei die Gewalt wesentlich physischer als in früheren Filmen, in denen die Handlanger der Bösen oft umfielen wie Kegel. Besonders der aktuelle 007 Daniel Craig sei im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht mehr der unzerstörbare Superheld, sondern eine mehrdimensionale Figur mit einer individuellen Biographie.

Unverändert, stellte Andreas Pott fest, sei Bond der Traum jedes Angestellten. Der Geheimagent, der seinen Vorgesetzten zu Gehorsam verpflichtet sei, verfüge über ein unbegrenztes Budget, dürfe alles kaputtmachen, sich mit seinem Chef streiten und behalte am Ende immer recht. Die Bond-Filme, wurde sehr deutlich, bauen auf einer Formel auf, in der immer wieder dieselben Elemente auftauchen. Fast ist daraus schon heute abzuleiten, wie das nächste Film-Abenteuer, das Ende 2017 zu erwarten ist, aussehen wird. Aber nur fast. Die Fans dürfen bis zur Premiere des nächsten Bond spekulieren.

06.04.2016

James Bond-Seminar vom 03. - 05. Juni 2016

Für alle Thrillerfans und vorallem für die Anhänger des coolsten Geheimagenten ihrer britischen Majestät gibt es im Juni ein besonderes Schmankerl: zusammen mit dem James Bond Club Deutschland e. V. verantalten wir am Wochenende vom 3. - 5. Juni ein James-Bond-Seminar. Genau, ein richtiges Seminar mit wissenschaftlichen Referaten und allem Drumrum, aber auch mit vielen James-Bond-Filmen. Mehr Informationen gibt es in Kürze.

 

Für alle Thrillerfans und vorallem für die Anhänger des coolsten Geheimagenten ihrer britischen Majestät gibt es im Juni ein besonderes Schmankerl: zusammen mit dem James Bond Club Deutschland e. V. verantalten wir am Wochenende vom 3. - 5. Juni ein James-Bond-Seminar. Genau, ein richtiges Seminar mit wissenschaftlichen Referaten und allem Drumrum, aber auch mit vielen James-Bond-Filmen.

Mehr Informationen gibt es in Kürze.

03.02.2016

14. Mannheimer Filmseminar - Martin Scorsese

Das Film-Magazin "Screenshot - Texte zum Film" berichtete über das 14. Mannheimer Filmseminar über Martin Scorsese.

 

Von Harald Mühlbeyer

Selbstverständlich ist ein Wochenende – sprich: Samstag und halber Sonntag – viel zu wenig, um Martin Scorseses Œuvre gerecht zu werden. Aber andererseits kommt man dem Filmemacher allein schon näher, wenn man einige seiner Filme sieht: Ein Doublefeature mit "Taxi Driver" und "Mean Streets" / "Hexenkessel", dem anderntags der hollywoodmainstreamaffine "Color of Money" / "Die Farbe des Geldes" und die Mafiasaga "Goodfellas" folgen: Da ist schon ein Claim abgesteckt.

Zumal natürlich Referate und Diskussionen das Feld erweitern. Sehr genau hinsehen. Und weit darüber hinaus blicken. Georg Seeßlen geht in seinem Eröffnungsvortrag auf den auteur-Status Scorseses ein. Was ist ein guter Filmemacher? Entweder schlicht jemand, der gute Filme im Kopf hat; oder einer, der für den guten Film in seinem Kopf den Kampf mit der Kinomaschine, mit Hollywood, mit dem Kommerzsystem, mit produktionsimmanenten Hindernissen aufnimmt. Zu welcher Kategorie Scorsese gehört – dreimal dürfense raten.

Im Scorsese-Publikum – insbesondere im Stammpublikum kritischer Fans – bilden sich dann die Vorstellungen heraus, wie ein Scorsese-Film aussieht. Zwischen "Mean Streets" und "Raging Bull" fand diese Reviermarkierung statt – die Scorsese freilich gerne überwand. Wie geht das Publikum, das einen Scorsese-Film erwartet, um mit so etwas wie "Age of Innocence"? Er fordert nicht nur das Hollywoodsystem heraus; auch seine Zuschauer.

Die grundsätzliche Motivik ist schnell festgezurrt: Der katholische Hintergrund; die Frage nach Motivatioon und Ausgestaltung von Gewalt; die Konstruktion und Dekonstruktion von Männlichkeit; die Sünde, in der der Mensch lebt, und sein Umgang mit ihr; die Musik als Ausdruck von Lebensgefühl; die Sehnsucht, die stets unerfüllt bleibt; die Mythen, die sein Kino hinterfragt und bricht.

Helmut Däuker, Psychoanalytiker aus Mannheim, bricht das herunter auf "Taxi Driver", ganz detailliert: Der Männlichkeitsmythos, der Einsamkeitsmythos, Waffen-, Beschützer- und Befreiungsmythos, der Rächer, der Grenzgänger, die Freiheit: An all diesen Mythen arbeitet Travis Bickle sich ab, und er scheitert. Um dann in einem, so Seeßlen, fast nihilistischen Ende doch Gewinner zu sein.

Ein Ende, das, wie sich zeigte, größten Diskussions- wie Interpretationsbedarf. Wird hier ein Todestraum gezeigt? Kann der amerikanische Mann nur sterbend leben? Überhaupt: Ist Bickle das Verdrängte des Zuschauers?

Schließlich sind wir hier unter Psychoanalytikern. Und da ist es eine besondere Gelegenheit, einen Film aus zwei Sichtweisen anzublicken: einmal film-, einmal psychoanalytisch. Ein Duell der Referate, ganz wörtlich: Denn der Mannheimer Medienprofessor Jochen Hörisch liebt "The Color of Money"; Psychotherapeut Gerhard Bliersbach tat sich gelinde gesagt schwer.

Hörisch – der Medienanalytiker – arbeitet die psychologischen Interpretationsansätze ab: das Ödipale – Paul Newman als Tom Cruises Ersatzvater in Buhlschaft um eine Frau; das Phallische – die stoßenden Stäbe, die Kugeln einlochen –; das Narzisstische, die Psychosucht nach Geld, Erfolg, nach dem Kick. Um daraus eine kleine Theorie des Geldes zu kreieren, das einerseits ganz immateriell und gar nicht sinnlich, andererseits aber ebenso erotisch wie religiös aufgeladen sei ("die Gläubiger müssen befriedigt werden", so ein schlagendes Zitat aus den Wirtschaftsnachrichten). Und irgendwie fühlen wir den Spaß mit, den Hörisch an diesem Film hat, auch wenn wir selbst irgendwo mittendrin das Gefühl für "Color of Money" verloren haben.

Bis Gerhard Bliersbach auftritt. Der nimmt sich denselben Film vor. Doch im Gegensatz zu Hörisch zerpflückt Bliersbach den Film nicht, um ihn dann wieder zusammenzusetzen, arbeitet sich nicht am Material selbst ab – sondern er seziert sich selbst, sein eigenes Unbehagen, erkundet sich selbst anhand des Films. Und sieht einerseits all das Vermittelte im Film, die mittelbaren Impulse: Vom Billardspiel selbst, wo eine Kugel nicht direkt, sondern nur über die weiße Kugel angestoßen werden darf, über all die Bluffs und Doppelbluffs, die Newman und Cruise um ihre Billardspiele herum inszenieren, bis zu dem zwischenmenschlichen Begehren, das immer wieder nur über Bande angespielt werden kann. Und er sieht andererseits im Film lauter unreife Adoleszente am Werk, nicht nur Cruise, der Bruder Leichtfuß, auch Newman, der gealterte Billardmeister, der eine neue Jugend beim neuen Spiel sucht. Das – so führt Bliersbach aus – gehe ihm lebensgeschichtlich nahe, vielleicht zu nahe, um es genießen zu können. Und anhand der langjährigen Doppelkopf-Runden, die er mit alten Schulfreunden regelmäßig abhalte, kommt er hin zu dem, was am Film stört: Das Unausgesprochene hinter den Kulissen, wie bei seinen Kartenspielen, die oft eher genervter Pflichterfüllung glichen: So habe wohl auch Scorsese hier recht unehrlich gefilmt, quasi anhand der Betrügereien im Film wiederum Betrug am Publikum vollzogen, mit all dem Hollywoodglanz der Stars und den manieristischen Kameratänzen von Michael Ballhaus, mit der glatten Ästhetik und der irgendwie irgendwo undurchdachten Handlungserzählung…

So muss es sein, hier spürt man den Wert dieses Filmseminars: Ein paar Stunden intensive Beschäftigung mit Martin Scorsese, und dabei gänzlich unterschiedliche Aspekte, gegenteilige Ansichten, die den Horizont erweitern. Und die auch durchaus unterhaltsam wie auch hinterrücks erkenntnisreich sind: Wenn in der anschließenden Diskussion Hörisch Bliersbach ob dessen Ansichten herausfordert: "Jetzt müssten eigentlich die Fäuste fliegen", oder wenn Hörisch ein rhetorisches Foul begeht: Auf ein ihm missfallendes Argument aus dem Publikum bezüglich der authentischen und der geblufften Reaktionen im Film verwies er auf die generelle Inszeniertheit nicht  nur des Films, sondern unserer zwischenmenschlichen Reaktionen im Leben selbst – als könnte man dies, weil stets vorhanden, nicht einfach herauskürzen. Da hat einer seinen Schopenhauer eifrig gelesen in der Kunst, recht zu behalten – und im übrigen auch seinen Gernhardt, seinen Freud, seinen Kafka, die Hörisch alle fleißig zitierte, um mit Witz und Ironie seinen Standpunkt zu vertreten.

Und ist dies nicht die intellektuelle Variante des scorsesesken Mannes, im Wissenschafts- nicht im Straßenmilieu? Stets zum Angriff bereit, um nach erfolgtem Kampf mit dem Gegner einen zu trinken, bevor sie wieder aufeinander losgehen; mit großer Sehnsucht nach Nähe zum Gegenüber, aber unter der (selbstredend vergeblich bleibenden) Voraussetzung, dass der andere sich einem ergibt; in der Begegnung mit dem anderen stets in einer Performance gefangen: Keitel in "Mean Streets", de Niro als "Taxi Driver", Paul Newman in "Color of Money", Liotta, De Niro, Pesci et. al. in "Goodfellas", und Hörisch in Mannheim…

Mit dem tiefen Bedürfnis, sich in den Mittelpunkt zu stellen durch volles Erfüllen all der Riten – ob bezüglich der Männlichkeit oder der Filmdiskussion. Und das Ganze inszeniert in weitgespannter Erzähllust.

Hier geht es zum Originalartikel.

19.01.2016

Kulturelle Dusche

Am 12. Januar 2016 berichtete die Rheinpfalz über das 30. Mannheimer Filmsymposium.

 

Von Stefan Otto

Seit 30 Jahren bieten die Symposien im Mannheimer Cinema Quadrat die Gelegenheit, sich über mehrere Tage lang intensiv mit einem filmkundlichen Thema zu befassen. Er empfinde sie in jedemJahr aufsNeue als eine erfrischende „kulturelle Dusche“, formulierte Peter Bär, der die Veranstaltungen seit Beginn leitet. Die bequemen Sitze imKino im Collini- Center waren während der drei Tage, die das jüngste Symposium in Anspruch nahm, nahezu komplett belegt. Und in den Vorträgen, die zu hören, und den Filmen, die zu sehen waren, ging es gewissermaßen um diejenigen, die dort Platz genommen hatten. Das Kinopublikum selbst stand im Zentrum des Symposiums mit dem Titel „Zuschauer(t)räume“. Es setzte sich aus interessierten Kinogängern, Filmwissenschaftlern, Kritikern und Psychologen zusammen, die sich gemeinsam mit den vielschichtigen Beziehungen zwischen Filmen und ihren Betrachtern befassten.

Insgesamt sechs Vorträge, dazu Werkstattberichte zweier Filmdramaturgen lenkten den Blick auf die Wirkmechanismen und Vereinnahmungsstrategien filmischer Inszenierung und fragten zugleich nach den Sehgewohnheiten und der Bereitschaft des Publikums, den Lockrufen von der Leinwand zu folgen oder ihnen zuwiderstehen.

Es lockte die Kinopremiere des niederländischen Thrillers „App“ von 2013, der die seltene Gelegenheit bot, während der Vorstellung das Handy anzulassen. Dies wurde sogar empfohlen, denn die Zuschauer konnten sich zu diesem „ersten Second Screen Film“ (Werbezitat) tatsächlich eine App auf ihre Mobilgeräte laden, die mit dem Geschehen auf der Leinwand synchronisiert war. Zu sehen bekam man einige Zusatzinfos und erweiterte Szenen, die aber die Mühe wenig lohnten, neben der Leinwand auch das Display des eigenen Handys ständig im Auge zu behalten. Trotzdem freilich reichten damit die Tentakel des Spielfilms, der selbst voneiner bösen, infektiösen App erzählt, bis in die Hände der Zuschauer.

Nicht unähnlich im Woody-Allen- Klassiker „Mach’s noch einmal, Sam“, der ebenfalls gezeigt wurde. Hier holt sich der Filmkritiker und „Casablanca“- Vielseher Allan Felix Ratschläge von Humphrey Bogart persönlich, der gleichsam der Leinwand, auf der wir ihn zuerst gesehen haben, entstiegen zu sein scheint. Allan Felix hat seine Scheidung zu verkraften und damit den Verlust seiner geliebten Frau Nancy. Ohne auf den Film einzugehen, der erst nach seinem Vortrag lief, legte der Münchener Dramaturg Roland Zag dar, auf welche Weise dabei die Parteinahme des Publikums gelenkt werden kann, damit es sich mit dem Protagonisten identifiziert oder überhaupt interessiertmit der Filmerzählung mitgeht.

Die Interaktionen, die auf der Leinwand zu sehen seien, Woodys Bemühen, über den Verlust seiner Frau hinwegzukommen, oder seine hilflosen Versuche, eine neue Liebesbeziehung anzufangen, erzeugten beim Zuschauer mit zwingender Notwendigkeit bestimmte, vorhersehbare Reaktionen, so Zag. Jenseits aller individuellen, intellektuellen und kulturellen Unterschiede der Zuschauer weltweit seien diese Reaktionen von universellen sozialen Bedürfnissen bestimmt: dem Wunsch nach ausgleichender Gerechtigkeit sowie Fragen der Zugehörigkeit und der Loyalität. Wie erfolgreich ein Film sei, „Mach’s noch einmal, Sam“ oder jeder andere, hänge damit letztlich auch davon ab, wie sehr der emotionale Kern seiner Story auf diese Bedürfnisse eingehe.

Auch der österreichische Psychologe Hannes König setzte in seinem Vortrag „Aus Inhalt wird Struktur“ den emotionalen Anklang, den ein Film findet, in direkte Beziehung zu dessen Beliebtheit. Dabei sprach König, anders als Zag, der formalen Beschaffenheit des Films, dem Stil, mehr Bedeutung zu als dem erzählerischen Inhalt. Seine Beispiele: die Fantasy-Serie „Game of Thrones“ und Michel Gondrys schrillbunte Boris-Vian-Verfilmung „Der Schaum der Tage“, die so überladen ist, dass sie den Zuschauer geradezu orientierungslos werden lässt.

Einen Film zu sehen, von ihm buchstäblich gepackt zu werden, heiße, als Zuschauer zum Verführten zu werden, erklärte der Mainzer Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger in seinem Vortrag „Film als Verführung“. „Der gut gemachte Spielfilm will wie eine psychotische Halluzination, eine Vision erzeugen, in der innen und außen sich vermischen. Er will in den Zuschauer eintauchen, so wie dieser in ihn eintauchen soll“, erklärte in den 1970er Jahren der französische Medientheoretiker und Philosoph Jean Baudrillard, von dessen Schriften Stiglegger die Seduktionstheorie des Films ableitete, bevor er sie anhand von Nicolas Winding Refns Neo-Noir-Thriller„Drive“ erörterte.

Mit der Entwicklung des Ortes, an dem das Publikum zusammenkommt, um Filme zu sehen, befasste sich der Speyerer Filmkritiker Joachim Kurz in seinem anregenden Vortrag „Zukunft des Kinos oder: Das Kino ohne Zukunft?“ Der Tod der Lichtspielhäuser sei in den vergangenen zehn Jahren so häufig prognostiziert worden, dass sich dieses Orakel förmlich eingebrannt habe, so Kurz. Fotos von verlassenen und verfallenden Kinos, wie sie zum Beispiel in der Ausstellung „Filmtheater“ im Frankfurter Filmmuseum zu sehen waren, seien als Boten einer Entwicklung, die scheinbar unaufhaltsam sei, geradezu zu Ikonen der Vergänglichkeit geworden. Dabei sei die Institution Kino im Laufe ihrer Geschichte schon häufig totgesagt worden, beispielsweise als das Fernsehen ihr Konkurrenz zu machen begann oder die ersten Videorecorder Verbreitung fanden. Auch gegenwärtig sei das Kino keineswegs tot, vielmehr in einem Zustand der Auflösung begriffen. „Es hat, zumindest tendenziell, keinen Platz mehr – oder dieser Platz ist zunehmend bedroht, vielleicht auch überflüssig geworden. Es diffundiert und ist damit überall und nirgends mehr zu finden. Es wird ortlos, weil der Film selbst nicht mehr an die Materialität des Trägermaterials gebunden ist, sondern frei verteilt werden kann, aufgespaltet in Bits und Bytes, unkontrolliert kopierbar zu kleinen Dateien, die wir überall hin mitnehmen können“, erklärte Kurz. Mit dem Siegeszug des Internets sei das Kino als primärer Abspielort für Filme unter großen Druck geraten.

Seine Hoffnung auf eine „Rettung der Filmkunst“ setzte Joachim Kurz auf Kommunale Kinos wie das Cinema Quadrat. Sie sollten in Zukunft zu zentral gelegenen, fachkundig geführten, offenen Orten der Begegnungmit anspruchsvollen Filmen werden, mit Meisterwerken aus der Vergangenheit, mit Reihen, die Epochen, Genres, Länder und manchmal auch Seitenund Holzwege der Filmgeschichte präsentierten, so Kurz' Idealvorstellung. Freilich bräuchten sie dafür eine bessere finanzielle Ausstattung, für die wiederum eine Reform der Filmförderung nötig wäre. Nur so aber könnten sie sich zu einer Kinemathek als Lernort, als Raum der sozialen Begegnung, als Platz für den Austausch über Film und Ideen entwickeln. Im Zuschauerraum selbst wäre dieses Kino der Zukunft ganz still, ohne Störungen und Ablenkungen, und draußen im Foyer ein quirliger, lebendiger Ort des Beisammenseins.

Veranstaltungen wie die Mannheimer Filmsymposien lösen bereits heute aufs Beste die Ziele ein, die Kurz in seinemVortrag formulierte.