14.05.2017

Mobilisierung durch Massenwahn

Am 11.04.2017 berichtete die Rheinpfalz über unsere Filmreihe "Propaganda im NS-Kino.

 

Von Stefan Otto

„Wir haben das Filmgedächtnis total verloren, wenn wir es je gehabt haben“, meint der Berliner Filmkritiker Rüdiger Suchsland. In der Zeit des Nationalsozialismus entstandene Filmewie „Triumph desWillens“ oder „Jud Süß“ sind aus guten Gründen nur sehr selten zu sehen. In der Reihe „Propaganda im NS-Kino“ stellt das Mannheimer Cinema Quadrat nun eine kleine Auswahl vor.

Zum Auftakt wurde in Mannheims Kommunalem Kino Suchslands neue Dokumentation „Hitlers Hollywood - Das deutsche Kino im Zeitalter der Propaganda 1933 - 1945“ vorgestellt. „Was ist Propaganda?“ fragt Suchsland in seinem Film und antwortet gleich selbst: „Propaganda ist Verzauberung, nicht Zwang. Ihr Ziel ist die Gleichschaltung der Gesellschaft und ihre Mobilisierung durch Massenwahn.“ Wer sich Nazi-Propagandafilme anschaue erfahre dabei nicht nur etwas über das Selbstbild der Nazis, sondern könne ebenso etwas über die Verführungskraft heutiger Filme lernen, erklärte er in Mannheim. Auch heute müsse man auf politische Propaganda im Kino gefasst sein. Man sehe sich nur einmal die türkische Filmbiografie „Reis“ an, die den Aufstieg Recep Tayyip Erdogans in verklärender Form schildert.

Das Cinema Quadrat präsentiert bis Juli monatlich einen NS-Propagandafilm, zu dem es jeweils eine Einführung gibt. „Ich klage an“ von Wolfgang Liebeneiner (25.Mai, 19:30 Uhr) ist vordergründig ein ergreifendes Melodram: Hanna Heyt (gespielt von Heidemarie Hatheyer) ist an multipler Sklerose erkrankt. Während ihr Mann, ein Medizinprofessor, verzweifelt an einem Heilmittel forscht, schreitet die Krankheit fort.

Schließlich bittet Hanna darum, sie zu erlösen. Ihr Mann wird angeklagt, und ein Mordprozessmuss klären, ob die Tötung ein humanitärer Akt war. Das Drama war 1941 Teil einer großangelegten Propagandaaktion, die den Weg für ein Sterbegesetz bereiten sollte, in dem die systematische Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ juristisch gefestigtwerden sollte. Es plädierte letztlich für die staatliche Entscheidungskompetenz darüber, wer leben darf und wer nicht. Der Film ist ein sogenannter Vorbehaltsfilm, der ohne historische Einführung nicht gezeigtwerden darf. Im Cinema Quadrat übernimmt dies Dominik Nagl vom Historischen Institut der UniversitätMannheim.

„Triumph des Willens“ (25. Juni, 19.30 Uhr) dokumentiert –mit für die Kamera inszenierten Bildern – den Reichsparteitag 1934 in Nürnberg. Mit dynamischen Kamerabewegungen, rhythmischer Montage und suggestiver Musikuntermalung feiert Regisseurin Leni Riefenstahl das Volk, das Reich und den „Führer“, der mit dem Flugzeug wie ein Erlöser vom Himmel herabkommt und von den Massen wie ein Popstar bejubelt wird. Ein künstlerisches Propagandaprodukt mit vielerlei Nachwirkungen sowohl in der Ästhetik von Film, Popkultur und Werbung als auch in der Diskussion um das Verhältnis von Kunst, Politik und Ethik. Die Einführung gibt Kilian Schultes vomHistorischen Seminar der Uni Heidelberg.

Der Agfacolor-Film „Kolberg“ (23. Juli, 19.30 Uhr) war die teuerste Filmproduktion derNS-Zeit. „Aufgabe dieses Films soll es sein, am Beispiel der Stadt, die dem Film den Titel gibt, zu zeigen, dass ein in Heimat und Front geeintes Volk jeden Gegner überwindet“, erklärte 1943 Propagandaminister Goebbels. Am30. Januar 1945, nur etwa drei Monate vor Ende des Zweiten Weltkriegs und der Selbsttötung von Goebbels, hatte der monumentale Kriegs- und Historienfilm von Veit Harlan Premiere. Eine Einführung gibt der Frankenthaler Kritiker und Filmbuchverleger Harald Mühlbeyer.

13.05.2017

Ästhet des langen Abschieds

Am 31.01.2017 berichtete die Rhein-Neckar-Zeitung über das 15. Mannheimer Filmseminar.

 

Von Franz Schneider

Akira Kurosawa, wer japanisch kann, weiß, schon der Name erinnert an hell und dunkel. Darum mehr Licht und Bewusstsein ins finstere Kino! Der weltberühmte japanische Regisseur war Thema der Seminarrehie "Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie", die seit 1989 im Mannheimer Cinema Quadrat stattfindet, in Kooperation mit dem Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie Mannheim-Heidelbert, dem Psychoanalytischen Institut Heidelberg, der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung und dem Heidelberger Institut für Tiefenpsychologie.

So konnten man dieses Mal Akira Kurosawas (1910 - 1998) sellten gezeigte Frühwerke wie auch einige seiner Klassiker bewundern. Die Diskussionen waren wie immer hoch qualifiziert. Kurosawa (1910 - 1998) schuf Meisterwerke wie "Rashomon", "Ran" oder "Träume", aber auch eher unbekannte Werke wie "Engel der Verlorenen". Psychoanalytikerin Sabine Wollnik verdeutlichte an diesem Gängsterdrama im zerbombten Nachkriegsjapan die Verdrängung der Kriegsereignisse innerhalb der japanischen Gesellschaft und entschlüsselte libidinöse sowie kulturelle Codes. All dies im Angesicht der Yakuza in einem Vorort von Tokyo rund um einen verseuchten Tümpel. Welche Bedeutung er wohl hat? Psychoanalytiker Ralf Zwiebel reflektierte über Wahrheit und Verantwortung.

Zuvor hatte bereits Marcus Stiglegger, Filmwissenschaftler aus Berlin, das gängige Bild von Kurosawa als Humanisten korrigiert, indem er auf den pessimistischen und existenzialistischen Zug im Schaffen hinwies. Für ihn inszenierte Kurosawa eher eine Ästhetik des langen Abschieds, so der Titel einer von Stigleggers 28 Publikationen. Der Vater des Samurai-Films beeinflusste dabei Kollegen bis hin zum Plagiatsvorwurf. Inspiriert durch das Noh-Theater und die Klassiker des japanischen Rollbildes und Holzschnittes, schuf er auch dank seines früheren Kameramannes Kazuo Miyagawa ausgekügelte Bildkompositionen.Diese sind gekennzeichnet durch das Spiel aus Nähe und Distanz. hell und dunkel, Flächigkeit und Tiefe, wie Peter Bär erläuterte. Außerdem zeigt er Kurosawas Technik der Wischblende, später vor allem verwendet bei "StarWars".

Soweit, so technisch, am Ende kommt stets die Anekdote. Akira Kurosawa war ein Perfektionist, der keinen Aufwand scheute. Für seine King-Lear-Adaptation "Ran" ließ er auf die Insel mit dem Vulkan also 200 Pferde einfliegen, auf deren Rücken dann Krieger in kunstvoll angerosteter Rüstung einen Tod starben, röter als ihr Blut. Kurosawas Spätwerk besticht durch seine Farbdramaturgie, besonders wenn er träumt.

13.05.2017

Der Vielstimmige

Am 18. April 2017 berichtete die Rheinpfalz über das Filmseminar "Psychoanalyse und Filmtheorie im Dialog" zu Akira Kurosawa.

 

Von Stefan Otto

Kinogänger werden regelmäßig zu Psychologen und Analytiker zu Filmkritikern, wenn sie einmal jährlich imCinema Quadrat zum Seminar „Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie“ zusammenkommen. Das 15.Mannheimer Filmseminar befasste sichmit Akira Kurosawa (1910-1998), der Filme wie „Die sieben Samurai“, „Rashomon“ oder „Ran“ drehte und nicht nur damit als westlichster Regisseur Japans gilt.

Es war eine Begegnung in einer Atmosphäre, in der wirklich ein Austausch und ein Weiterkommen möglich gewesen seien, befand am Ende der Mannheimer Psychoanalytiker Gerhard Schneider. Sich Kurosawas Filmen aus einer psychoanalytischen Perspektive zu nähern, fiel allerdings schwer und ließ letztlich ungewöhnlich viele Fragen offen.

Der Tokioter Regisseur präsentiere eben kein fest umrissenes Menschenbild, hieß es in einer der Diskussionen, die das Seminar strukturierten. Seine Filmerzählungen und Figuren hätten so viele verschiedene Seiten, dass eine relativ offene Darstellung entstehe. Auch Analytiker, die gern ausdeuteten,müssten seine Filme vor allem in ihrer Vielstimmigkeit wahrnehmen und sich nicht auf eine Interpretation festlegen. Ergebnislos blieb das Seminar freilich nicht. So konnten zahlreiche Aussagen Mannheim: 15. Seminar zu Psychoanalyse und Filmtheorie über Akira Kurosawa getroffen werden, was Kurosawas Stil, Motive oder Themen betrifft.

Im Eröffnungsvortrag „Global Cinema“ legte der FilmwissenschaftlerMarcus Stiglegger dar, dass Akira Kurosawa von Beginn seiner Karriere in den 1940er Jahren an als Filmemacher mit einer eigenen künstlerischen Handschrift gelten konnte. Er verfasste oder bearbeitete die meisten der Drehbücher, die er verfilmte, zeichnete später zunehmend akribische Storyboards und arbeitete vom ersten Film an mit einem relativ stabilen Ensemble von Mitarbeitern, das ihn dabei unterstützen konnte, seine Visionen Film werden zu lassen. Sein Stil zeige sich zum Beispiel in seiner besonderen dramaturgischen Ökonomie, in Symbolen, die immer wieder aufscheinen, und wiederkehrenden Stilmitteln wie der Wischblende und der Zeitlupe. Resonanz fand Kurosawa, der sich selbst unter anderem vom Western beeinflusst sah, damit besonders im Westen, bei US-Regisseuren wie Sam Peckinpah und George Lucas oder europäischen wie Sergio Leone.

Auch inhaltlich findetman in Kurosawas Filmen wiederkehrende Motive wie den Bezug zur japanischen Kriegerethik des Bushido. Seine Beschäftigung mit dem Tod in „Ikiru“ („Einmal wirklich leben“) und vielen anderenWerken war möglicherweise biografisch motiviert durch eine kindliche Wanderung durch das vom Kanto-Erdbeben 1923 zerstörte Tokio sowie den frühen Suizid seines Bruders Heigo 1933. Mit Darstellungen des Verrinnens der Zeit, des Verabschiedens oder des Vergessens wurde der Tod geradezu zu einem Kurosawa-Schlüsselmotiv, der den Verlauf des Lebens als einen langen Abschied erscheinen lassen kann. „Kurosawas Kino ist ein Kino des allgegenwärtigen Todes“, so Stiglegger.

Der Kasseler Analytiker Ralf Zwiebel nahm im Vortrag „Wenn du die Geschichte nicht verstehst, dann erzähle sie doch“ jenen Film Kurosawas in den Blick, der zum ersten Mal die westliche Welt auf das japanische Kino aufmerksam gemacht hatte: „Rashomon – Das Lustwäldchen“, der 1951 in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen hat und in Hollywood den Oscar als bester ausländischer Film. Die vierfache Schilderung einer Vergewaltigung und eines Mordes vermittle eine für den Zuschauer bestürzende Einsicht in die Relativität, die Subjektivität und die Ambivalenz der Wahrnehmung, so Zwiebel. Wie „Rashomon“ vorführe, dass unterschiedliche Interessenlagen undMotive die Wahrnehmung einer Situation maßgeblich beeinflussen, so verstehe auch der Analysand auf der Couch eines Analytikers die eigene Lebensgeschichte nur bruchstückhaft.

Die Leiterin der Kunstvermittlung an der Kunsthalle Mannheim, Dorothee Höfert, konzentrierte sich im Vortrag „Der Traum imTraum oder:Wie kommt ein Betrachter ins Bild hinein?“ auf eine der Episoden im Film„Akira Kurosawas Träume“, die wie die übrigen auf tatsächlichen Träumen des Autors und Regisseurs beruhen soll. In der fünften Episode begegnet ein japanischer Ausstellungsbesucher und Kunstmaler Vincent van Gogh, der hier von Martin Scorsese gespielt wird, und irrt durch intensive, farbenprächtige Bilder des Niederländers. Die Ästhetik der japanischen Malerei übte großen Einfluss auf van Gogh und auf andere europäische Künstler wie Edgar Degas oder Paul Gauguin aus.

Kurosawa, der in den 1920er Jahren Malerei an einer Hochschule für westliche Kunst studiert hatte, fand im japanisch beeinflussten van Gogh einen europäischen Maler, bei dem er sich heimisch fühlen konnte. Er seinerseits drehte in Japan Filme, die Europäer und Amerikaner inspirierten.

25.04.2017

Die unauslotbare Seele

Am 24.01.2017 berichtete der Mannheimer Morgen über unser Kurosawa-Filmseminar.

 

Von Wolfgang Nierlin

Das 15. Mannheimer Filmseminar im voll besetzten Cinema Quadrat widmete in diesem Jahr seinen „Dialog zwischen Psychoanalyse und Filmtheorie“ dem japanischen Meisterregisseur Akira Kurosawa (1910 - 1998). Bekannt für seine stilisierten Samurai-Dramen und genialen Shakespeare-Adaptionen, gilt der studierte Maler als vermeintlich „westlichster“ Regisseur Japans.

Tatsächlich hatte Kurosawa den Anspruch, so der renommierte Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger in seinem Eröffnungsvortrag „Global Cinema“, internationales Kino zu machen. In der Folge dienten einige seiner Filme so namhaften Regisseuren wie John Sturges und Sergio Leone als Vorlage für Remakes.

Kurosawas genuine filmische Handschrift als Ausdruck seiner „persönlichen Mythologie“ (Roland Barthes) exemplifizierte Stiglegger, kenntnisreicher Autor einer Kurosawa- Werkmonographie, nicht nur anhand wiederkehrender Stilmittel – ein Thema, das Referent Peter Bär in einer Bildanalyse des Films „Yojimbo (1961) noch vertiefte –, sondern auch mit Blick auf Schlüsselmotive. Trotz inhaltlicher Vielseitigkeit rückte dabei Kurosawas „Ästhetik des langen Abschieds“ in den Mittelpunkt; und damit auch die Frage, ob sein angeblich humanistisches OEuvre nicht vielmehr von einem Pessimismus geprägt sei. Akira Kurosawas berühmtester Film „Rashomon“ (1950) und Ralf Zwiebels „filmpsychoanalytische Reflexionen“ dazu lieferten diesbezüglich eine dankbare Diskussionsgrundlage. Die multiperspektivische Erzählung eines Verbrechens, verstanden als Beziehung zwischen „Vielstimmigkeit und eigener Stimme“, führt demnach als „kognitive Verzerrung“ nicht nur die „Selbsttäuschung“ mit sich, sondern bewirke durch die „zirkulierenden Transformationen von Wort und Bild“ auch eine „unendliche Interpretation“.

Lasterhafter Egoismus

Er habe, so schrieb Akira Kurosawa, mit „Rashomon“ einen Film über die unauslotbare Psyche des Menschen, seinen lasterhaften Egoismus und seine Unfähigkeit, „aufrichtig zu sich selbst zu sein“, gemacht. Unverkennbar vom Existenzialismus beeinflusst, scheint darin zunächst „der Glaube an den Menschen verloren“ – bis sich am Schluss des Films doch noch ein Hoffnungsschimmer zeigt.

13.12.2016

Kino das verbindet

Cinema Quadrat erneut beim Kinopreis des Kinematheksverbundes ausgezeichnet

 

Wir freuen uns: Das Cinema Quadrat wurde mit einem Kinopreis des Kinematheksverbundes ausgezeichnet. Der zweite Preis in der Kategorie III („Kino, das verbindet“) ging in diesem Jahr an das Cinema Quadrat, „das durch kooperative Symposien, Seminare und interkulturelle Ansätze Menschen nicht nur aus der Region zusammenbringt“ - so die Begründung.