03.11.2014

Ein Bericht vom 29. Mannheimer Filmsymposium "Schauspielen im Film"

Im Online-Magazin »Kino-Zeit« berichtete Harald Mühlbeyer über unser diesjähriges Symposium

 

Den Originalartikel finden Sie auf der Webseite KINOZEIT.

»Schauspiel: Das hat auch viel mit Improvisation zu tun, mit dem freien Spiel innerhalb gesetzter Grenzen, mit dem Einbauen von Zufälligem, von Unvorhergesehenem, was die Präsentation von Vorgegebenem frischer und lebendiger erscheinen lässt. Ähnliches gilt für ein Symposium. Da fällt dann zum Beispiel kurzfristig ein Referent aus, und man muss Ersatz besorgen. Gut, wenn ein Stockwerk höher Klaus Gronenborn über den Texten zum Festivalkatalog des Mannheim-Heidelberger Filmfestivals sitzt; und wenn Rüdiger Suchsland sich mit ihm spontan zu einem Gespräch über Karl Valentin, der vielleicht ein Schauspieler seiner selbst ist, verabredet. Wenn dann noch im heimischen DVD-Schrank der Kurzfilm Ein verhängnisvolles Geigensolo zu finden ist, ist der Tag gerettet...

Wobei ohnehin eigentlich nichts im Argen liegt beim Mannheimer Symposium, das Organisator Peter Bär und sein Team zwar straff, aber sehr abwechslungsreich konzipiert haben: Da machen sich die langjährige Erfahrung ebenso bezahlt wie der Wunsch und die Fähigkeit, eine intensive intellektuelle Atmosphäre des Austauschs zu schaffen im intimen Rahmen des 99-Sitze-Kinos, in dem sich Publikum und Referenten auf Augenhöhe begegnen können. Wenn in diesem Jahr auch eine Diskussionsrunde - der offene Gedankenaustausch über vorhergehende Vorträge - zugunsten eines weiteren Werkstattgesprächs gestrichen wurde: Gerade die Berichte aus der Praxis ergaben wichtige Einblicke ins Schauspielerdasein, in die Performances vor und für die Kamera, in das Hineinschlüpfen in die Filmfiguren.

So berichtete Catherine Flemming von ihrer Arbeit - ausgehend vom selten gezeigten frühen Petzold-Filmes Cuba Libre von 1996, der in schöner 35mm-Kopie in Mannheim lief, über die Schauspielausbildung in der damals streng hierarchisch angelegten Ernst-Busch-Schule bis zu diversen Beispielen und Anekdoten aus bisherigen, auch internationalen Filmen: "Ich möchte bereichern, den Zuschauer packen in seiner letzten kleinen Seelenecke", so Flemming, die sich ihres Arbeitsphilosophie wie auch dem Weg, gewünschte Wirkungen zu erzeugen, sehr bewusst ist.

Ernst-Busch-Schule: Das war auch die Ausbildungsstätte für RP Kahl; allerdings Außenstelle Rostock... weniger angesehen, weniger im Zentrum, für Kahl aber dennoch Sprungbrett zur Jungstar-Karriere am Theater der frühen 1990er Jahre; bis er der allabendliche Routine einer nachgespielten Kreativität auf der Bühne überdrüssig wurde und in Film und Fernsehen alle Rollen annahm, die einigermaßen passten - mit vielen Sendern, die viel Stoff brauchten, in den 1990ern kein Problem; doch auch dies Industrieware, Fließbandarbeit - so dass Kahl sich ab 1997 vom Schauspiel weg zum Regisseur entwickelte. Markstein: Oskar Roehlers wilde Reise durch die Nacht Silvester Countdown von 1997, in dem Kahl kurzerhand gleich als Produzent fungierte und in dessen energetischem Flow er Angel Express, ein ungestümes Berlin-Panorama, inszenierte. Seither bezeichnet er sich nicht mehr als Schauspieler, sondern als Regisseur.

In Mannheim reflektierte er im Gespräch mit Marcus Stiglegger dieses Wechselspiel von Schauspiel- und Regiefunktion - nach wie vor wirkt er als Darsteller in Spielfilmen mit, dreht zudem eigene Filme; und erforscht in diesem Spannungsfeld mehr oder weniger experimentell das Performative, das das Spiel im und mit dem Film bedeutet.

Von der anderen Seite beleuchtete die Castingdirektorin Sabine Weimann die Auswahl von Schauspielern: ein interessanter Aspekt des Filmemachens, in den man gemeinhin wenig Einblick erhält. Insbesondere nicht solchen: Mit tatsächlichen Castingvideos für einige Produktionen, die Weimann besetzt hatte, konnte der Verlauf von Bewerbung über Beurteilung bis zum Ergebnis, dem fertigen Film, nachverfolgt werden. Da hat etwa die 16-jährige Stephanie Amarell sich aus dem Schüleraustausch in England per E-Casting-Video bei Ben Verbong gemeldet, nur auf die Info hin, dass für einen Film eine Jugendliche gesucht würde, und dass sie ein Gedicht -  Fontanes "John Maynard"-Ballade - vortragen solle. Das tat sie, mit durch Videoschnitt verteilten Rollen; beim Casting ein anderes Gedicht, mit Vorgaben von größter Freude oder tiefster Trauer vorzutragen - um dann schließlich in Mona kriegt ein Baby die Titelrolle zu spielen. Diesen Prozess machte Weimann anschaulich, auch die allgemeinen Schwierigkeiten beim Casting, etwa durch Produzenten oder Redakteure "gesetzte" Schauspieler aufgebrummt zu bekommen, bis hin zu Tipps für Schauspieler, wie am besten ins Casting reinzugehen sei: Von selbstbewusstem Auftreten über das Beilegen aktuelle Fotos bis dahin, nie selbstständig einen Take zu unterbrechen.

Jung und am Beginn der Karriere ist Helen Woigk, geboren 1991 und bisher im Kino vor allem in André Erkaus Das Leben ist nichts für Feiglinge aufgefallen: Interessant an ihrem Vortrag, wie sie - mit Sinti-Wurzeln - gerne für die Exotik besetzt wird: Türkin, Rumänin, Bangladescherin, bei einem aktuellen Dreh auch Spanierin. So selbstbewusst ihr Umgang mit dieser Art von "Typecasting" ist - das es ihr ermöglicht, sich in diverse fremde Kulturen einzuarbeiten und zu fühlen -, so stark kam sie im weiteren Verlauf auf einen Knackpunkt des Schauspiels; und das ganz ungewollt und völlig gegen die Intention.

Die Aufregung; die Emotion: Ein Tränenausbruch. In völliger Fassungslosigkeit brach Woigk zusammen. Ein großes Glück für das Symposium! Denn in diesem Moment der Plötzlichkeit, der unmittelbaren "Wahrheit" konnte sich beim Zuschauer die Essenz, das Geheimnis des Schauspiels offenbaren, für einen Augenblick, freilich nicht greifbar, kaum beschreibbar: Denn bei Woigk setzte zugleich mit dem ungewollten Ausbruch, der ja auch ein Loslassen war, ein Bruch innerer Schranken, die Analyse des Geschehenen ein, so dass eine merkwürdige Gleichzeitigkeit von Haltlosigkeit und Souveränität entstand: Blockade, erklärte sie unter Tränen, das bedeute beim Dreh erstmal eine Pause zu machen, durchzuatmen; dann neu anzufangen; und man dürfe auf keinen Fall sich von außen betrachten, sondern müsse stets voll in die Situation hineingehen: "weil sonst genau so etwas passiert." Sich freimachen, sich fallenlassen, die Emotion voll aufnehmen, sich hineinstürzen ins Gefühl; dies bewusst tun und - irgendwo hinten im Kopf - auch kontrolliert: Das muss der Schauspieler leisten. Und zugleich sich selbst kennen: "So etwas wird in meinem Leben immer wieder passieren", nahm Woigk ihren Vortrag wieder auf, "und das muss ich aufnehmen, und ich versuche es zu integrieren."«

22.10.2014

Die Augen fühlen das Gewicht

Am 21. Oktober berichtete der Mannheimer Morgen über das 29. Mannheimer Filmsymposium:

 

»Marlon Brando ist entschuldigt – er starb leider schon 2004. Auch, dass Naomi Watts, wie Brando einer der im Filmsymposium angeführten Stars, nicht selbst im Cinema Quadrat vorbeischaut, kann kaum überraschen. Aber Michelle Pfeiffer ist vor Ort, „die deutsche Michelle Pfeiffer“ jedenfalls: Catherine Flemming. Joseph Vilsmaier hat ihr das Ehrenprädikat verliehen, und sie hat ihre Zerbrechlichkeit in Filmen wie „Der alte Affe Angst“ (von Oskar Roehler) oder „Cuba Libre“ (Christian Petzold) so unaufdringlich wie effektvoll eingesetzt.#

Der letztgenannte Streifen wird in Mannheim auch noch einmal im Begleitprogramm des mittlerweile 29. Symposiums mit dem Titel „Schauspielen im Film“ gezeigt. Er stammt von 1996. Flemming hatte damals ihren ersten großen Auftritt, und auch für den Regisseur war es ein frühes Werk. Aber die Kunst und Künstlichkeit des Christian Petzold ist schon voll entwickelt. „Ich war damals noch sehr unsicher“, gibt Flemming zu. Die manierierte, stilisierte Redeweise der Akteure habe sie zunächst verwirrt: „Ich habe die Figur verstanden, doch nicht ihre Sprache.“ Sie sei eher fürs „Authentische“, so problematisch dieses Wort auch sein möge.

Die Kunst der Improvisation

„In Frankreich ist der Drehbuchautor immer mit am Set – da hat man Zeit, da kann man Fragen stellen“, findet Flemming. Hierzulande sei das leider eher selten. Doch bei „Cuba Libre“, einer Aussteigergeschichte, sei zumindest Christian Petzold immer bestens präpariert gewesen – keiner dieser Regisseure, die nur sagen: „Mach mal.“ Also keiner mit Konsumhaltung. Im Übrigen verstehe sie sich auch auf Improvisation. In dieser Hinsicht helfe es, wenn man im „Osten“ aufgewachsen sei, in Chemnitz.

Später ging es freilich an die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Diese Berliner Einrichtung war für ihr strenges Regiment bekannt und dafür, dass man hier die jungen Leute erst mal auseinandernahm, bevor man sie als Schauspieler wieder zusammensetzte. Eine Ausbildung als riesiges Disziplinarverfahren.

Flemming ließ sich freilich ihre Sensibilität nicht nehmen, und wenn sie für eine Rolle ein paar Pfunde zulegt, ändert das auch ihren Blick: „Ich kann in meinen Augen mein Gewicht fühlen.“ Ansonsten sehe sie „wahnsinnig gerne“ Filme, deshalb sitze sie so oft in Jurys. Demnächst auch beim Mannheim-Heidelberger Filmfest.

Hintergründe als Bereicherung

Flemming gibt sich beim Symposium nahbar, locker und ironisch. Ihre Jungkollegin Helen Woigk, bei der man viel Verletzlichkeit bemerkt, ist da natürlich weniger erfahren. „Referentin“ ist die Rolle, die sie noch nicht kennt. Ganz ungeschützt erteilt sie Auskunft, über ihr Geburtsdatum und ihre Sinti-Wurzeln, die ihr reizvoll „fremdländisches“ Aussehen vielleicht begünstigt haben. Türkinnen, Rumäninnen und Inderinnen spielt sie oft, noch sieht sie das Erforschen unbekannter ethnischer und kultureller Hintergründe als Bereicherung. Doch irgendwann will sie sich davon lösen. „Schauspielen ist nichts für Feiglinge“, heißt ihr Bericht, und das ist eine Anspielung auf einen ihrer Filme.

Sonst verläuft das 29. Symposium an drei Tagen in bewährten Bahnen. Peter Bär und seine Mitarbeiter haben nur insofern kleine Änderungen und Verbesserungen vorgenommen, als die Formen Interview und Werkstattbericht ein größeres Gewicht bekommen sollen. Filmkundlich fundierte Vorträge gibt es auch weiterhin, wie den von Marcus Stiglegger zum „Method Acting“ in Amerika, das die Erinnerung des Schauspielers an eigene Erlebnisse zur Basis hat. Nicht nur der große Marlon Brando kommt aus dieser Ecke. Auch Naomi Watts ist noch davon beeinflusst, allerdings nicht nur, wie Stiglegger erläutert: In der Casting-Szene aus „Mulholland Drive“ von David Lynch beherrscht sie auch das schnelle und spontane „Acting and Reacting“ virtuos. Das ist wieder eine andere, vom bekannten Lehrer Sanford Meisner propagierte Schauspielweise. Oder nur Watts’ Talent.«

Hans-Günter Fischer

13.10.2014

Turkfilmfestivali zu Gast beim Cinema Quadrat

Das 23. Türkfilmfestivali Mannheim bespielt dieses Jahr das Cinema Quadrat. Filme im Oktober, November und Dezember.

 

Es ist ein Ereignis, das auch für uns überraschend kam. Kurzfristig fragte das traditionsreiche Türkische Filmfestival Mannheim, das dieses Jahr schon in der 23. Ausgabe stattfindet, bei uns an, in diesem Jahr unser Kino zu bespielen. Deshalb gibt es beginnend mit dieser Woche türkische Filme im Cinema Quadrat. Den Anfang macht am 15.10.2014 umd 21:30 Uhr "Araf - Somewhere in Between" der bekannten Filmemacherin Yesim Ustaoglu (deren Film "Reise zur Sonne" schon in unserem normalen Programm lief). Am Tag darauf, am 16.10.2014 wird im Rahmen des Festivals um 17:00 Uhr "Bizim büyük carisizlimiz" gezeigt.

Das Türkfilmfestivali findet in diesem Jahr über einen längeren Zeitraum statt. Weitere Termine im November und Dezember sind geplant und werden u. a. auf unserer Webeite bekanntgegeben.

Alles zum 23. Türkfilmfestivali Mannheim finden Sie auf der Festivalhomepage.

01.10.2014

Kinopreis 2014 - Lobende Erwähnung für Cinema Quadrat

Am vergangenen Freitag, dem 29.09.2014, wurde das Cinema Quadrat vom Kinematheksverbund mit einer lobenden Erwähnung und einem Sachpreis für sein Jahresprogramm 2013 bedacht.

 

Mit dem Kinopreis des Kinematheksverbundes werden alljährlich Kinos für ihre herausragenden Programme und ihr kontinuierliches Engagement für eine anspruchsvolle und vielfältige Kinokultur in Deutschland gewürdigt. Aus der Jury-Begründung: Lobende Erwähnung wurde dem Cinema Quadrat "für den Blick auf aktuelle Themen, wie dies die Reihe 'Blicke auf Palästina' bietet" ausgesprochen. Die lobenden Erwähnungen sollen besonders das Engagement der Kinos vor Ort hervorheben und ihnen damit zu einer weiteren öffentlichen Anerkennung verhelfen.

"Einfach unglaublich! Im fünften Jahr in Folge sind wir unter den Preisträgern",- freut sich Verena Schlossarek, Geschäftsführerin vom Cinema Quadrat.

16.09.2014

Leichen füllen die Leinwand

Die Rheinpfalz kündigte am 13.09.2014 unsere Shakespeare-Filmreihe an:

 

»Zum 450. Geburtstag William Shakespeares in diesem Jahr ehrt das Mannheimer Cinema Quadrat den elisabethanischen Dramatiker ab Montag mit der fünfteiligen Filmreihe „Shakespeare lebt!“.

Shakespeares Stücke, besonders die bekanntesten, gehören bis heute nichtnur zum festenBestand der Theaterspielpläne, sondern auch der Kinoprogramme. Schon in den ersten Jahren des neuen Mediums Film wurden, freilich stumm, einzelne Szenen und pantomimische Interpretationen seiner Dramen auf Zelluloid gebannt. So sind mittlerweile rund 500 Filme nach seinen Stücken entstanden. Shakespeare ist damit der Dramatiker, dessen Werk weltweit am häufigsten verfilmt wurde. Entsprechend vielfältig sind die Filme, die das Cinema Quadrat zeigt.

„Hamlet Goes Business“ siedelt Shakespeares Klassiker um den Prinzen von Dänemark in Finnland an. Hamlets Vater war hier ein Großindustrieller, Hamlet selbst ist der Haupterbe des Konzerns. Thronfolger Klaus möchte den Betrieb auf die Produktion von Quietsche-Entchen umstellen. Der getötete Boss erscheint seinem Sohn als Geist und bittet ihn um Rache. Alsdann purzeln die Leichen nur so über die Leinwand. Shakespeares Drama wird hier zum Film noir. Eine düstere bis aberwitzige Kapitalismuskritik von Aki Kaurismäki (am 25. und 26. September).

„Viel Lärm um nichts“ ist ein kleiner Film des erfolgreichen Regisseurs Joss Whedon. Es handelt sich um eine schlichte bis amüsante Fingerübung, die der New Yorker Serienspezialist nach den ungleich aufwendigeren Dreharbeiten zu „Marvel's The Avengers“ eingeschoben hat. Gedreht wurde die Komödie um die Suche nach der wahren Liebe in nur zwölf Tagen in Whedons Privathaus, geschnitten wurde der Film in den Mittagspausen und am Wochenende (19. bis 22. September).

Mit „Cäsar muss sterben“ ist sogar eine Dokumentation im Programm, die viel shakespearesches Drama enthält. Insassen des Hochsicherheitstraktes eines römischen Gefängnisses studieren die Tragödie „Julius Caesar“ ein. Zu sehen ist in Ausschnitten das Casting, die Proben und die Aufführung. Karg in der Bildsprache, reich an Emotionen, gewann das italienische Dokudrama der Brüder Taviani den Goldenen Bären bei der Berlinale 2012 (vom 25. bis 27. September).

Die beiden übrigen Beiträge der Filmreihe sind so bekannt, dass eine Beschreibung sich erübrigt. Es handelt sich um Baz Luhrmanns „William Shakespeares Romeo + Julia“mit Leonardo DiCaprio und Claire Danes (29. September bis 1. Oktober) und um „Shakespeare in Love“ mit Joseph Fiennes als Dichter und Gwyneth Paltrow in der Rolle der Lady Viola (15. bis 17. September).«