Die Kunst der Kinoerzählung

„Wie kommt die Magie in einen Film hinein? Na ja, das weiß ich auch nicht so genau“, gesteht Henk Drees entwaffnend offen. Da er meistens als Dokumentarfilm-Dramaturg und -Cutter (Schnitttechniker) arbeitet, ist er zudem von Haus aus weniger für magische Momente zuständig als jemand, der an großen Kino-Epen feilt. Obwohl: Das „Storytelling“ (Geschichtenerzählen) sei auch in den Dokumentationen sehr erwünscht, zumindest von den Auftraggebern in den (Fernseh-) Redaktionen, findet Drees.

Sogar die Abenteuerreise eines Helden in drei Akten sei nicht ausgeschlossen. Wie geht man als Cutter dabei vor? Man sichte erst einmal das Ausgangsmaterial: die Flut der Bilder. Und begebe sich auf eine Suche nach erzählerischen Kleinstmotiven, frei nach einem vielzitierten Eichendorff-Gedicht gelte auch hier der Grundsatz: „In den kleinsten Dingen ist Erzählung, Narrativität.“

Auf der Suche nach Magie

Wie aus den kleinsten Ansätzen zu einer Handlung Drehbücher und schließlich Kinofilme werden, ist im Kommunalen Kino Cinema Quadrat Thema beim 33. Mannheimer Filmsymposium. Wieder geht es dabei um „Magie“: um die des filmischen Erzählens. Bis dahin ist es ein weiter Weg, wie der Berliner Film- und Fernsehwissenschaftler Jürgen Kasten nachzeichnet, mit einem Vortrag zu den Anfängen des Drehbuchschreibens. Denn der alte, fromme Spruch „Im Anfang war das Wort“ stimme natürlich nicht, erklärt der Referent. Im Anfang sei das Bild gewesen: Filme waren Stummfilme und in der Frühzeit, in den Jahren kurz nach 1900, höchstens drei Minuten lang. Und sie bestanden aus nur einer Einstellung.

Erst als sie länger und komplexer wurden, war so etwas wie eine planvolle Vorfestlegung ihres Inhalts nötig. Hatten Filmemacher in der Zeit davor höchstens auf ihren damals abknöpfbaren Hemdmanschetten spärliche Notizen angefertigt, wurden jetzt die ersten echten Drehbücher verfasst. Zunächst noch handschriftlich, dann mit der Schreibmaschine. Dies geschah in allen großen Filmländern in etwa gleichzeitig: um 1910 herum.

Um 1920 folgte eine große Expansionsphase, zumal in Deutschland, das zum Eldorado auch für DrehErst als sie länger und komplexer wurden, war so etwas wie eine planvolle Vorfestlegung ihres Inhalts nötig. Hatten Filmemacher in der Zeit davor höchstens auf ihren damals abknöpfbaren Hemdmanschetten spärliche Notizen angefertigt, wurden jetzt die ersten echten Drehbücher verfasst. Zunächst noch handschriftlich, dann mit der Schreibmaschine. Dies geschah in allen großen Filmländern in etwa gleichzeitig: um 1910 herum. Um 1920 folgte eine große Expansionsphase, zumal in Deutschland, das zum Eldorado auch für Drehbuchschreiber wurde. Und für Schreiberinnen: Thea von Harbou war die erfolgreichste, sie wurde wegen ihrer fehlenden Berührungsängste dem Trivialen gegenüber auch als „Lady Kitschener“ bezeichnet. Hollywood mag damals einiges von ihr gelernt haben, sie stellte Thesen auf, die viele Drehbuchschreiber heute noch beherzigen, wie etwa diese: „Wenn der Zuschauer den Kopf schüttelt und stutzt, hat unser Film bereits die Schlacht verloren.“

Logische Handlung gefragt

Also bloß kein Kopfschütteln verursachen mit Handlungselementen, die den Zuschauer verwirren könnten. Immer logisch sein, im Zweifelsfall auch logischer als das reale Leben. Aber gilt das wirklich noch in derart reiner Form? Das Mannheimer Symposium zeigt auch auf, wie im Verlauf der Filmgeschichte Strategien eines eher unberechenbaren,nicht mehr „zuverlässigen“ Erzählens immer wichtiger geworden sind. Das alte Drei-Akt-Schema mit der Läuterung des Helden und dem serienmäßig eingebauten Happy End wird nur noch selten ungebrochen durchgehalten, klassische Dramaturgien scheinen ausgereizt und auserzählt zu sein.

In Mannheim listet Filmprofessor Marcus Stiglegger Einzelstrategien auf, die Unordnung in das Geschehen bringen können: Auflösung der Grenzlinie zwischen der Imagination und der Realität (etwa in David Lynchs „Mulholland Drive“), Erzählen aus der subjektiven Perspektive der verschiedenen im Film behandelten Personen und so weiter. Sogar Rückblenden wollen die Handlung nicht immer verdeutlichen – sie „lügen“ manchmal auch.

Im Ganzen werden filmische Erzählungen und damit ihre Drehbücher komplexer. Mit den neuen „immersiven“, also umfassenden Medien wird die Grenze zwischen Wirklichkeit und Illusion (beziehungsweise virtueller Welt) noch offener, aktive Zuschauer können wie in Computerspielen demnächst wohl selbst zu Handlungsträgern werden.

Welche Konsequenzen für das filmische Erzählen dadurch zu erwarten sind, fragt sich der Medienwissenschaftler Ludger Pfanz. Er wählt für seinen Vortrag einen schönen Titel, der zusammenfasst, worauf es einem guten Drehbuch, ja dem Kino selbst, am Ende ankommt: „Life without the boring parts“ zu zeigen. Also: Leben ohne lähmende, langweilige Alltäglichkeiten.