
Ernst Schreckenberg, Filmhistoriker, Paderborn
Vortrag 1
Bauten für den Augenblick - Zur Arbeit der Production Designer
Filmsets werden vom Publikum bewusst wahrgenommen, wenn es sich um spektakuläre und phantasievoll gestaltete Filmbauten handelt, „bigger than life“. Die gigantische Mauer von Babylon in „Intolerance“, die futuristischen Bauten in „Metropolis“ oder die phantasievollen Sets der James Bond-Filme – immer werden die Großartigkeit, der immense Aufwand demonstrativ zur Schau gestellt. Dabei ist der filmhistorische Regelfall bis heute eher, dass sehr viel Akribie, Kreativität und finanzieller Aufwand in Filmsets gesteckt wird, deren Gemachtheit sich nur einem geübten Auge erschließt. Das Filmset soll hier nicht die Wahrnehmung des Films dominieren, sondern eher unauffällig als visuelles erzählerisches Element dienen. Es ist darüber hinaus auch ein probates Mittel, wenn an Originalschauplätzen nicht gedreht werden kann. Anhand unterschiedlicher Beispiele, oft verbunden mit einem Blick hinter die Kulissen, soll die wichtige filmische Arbeit der Production Designer in ihrer Bedeutung gewürdigt werden.
Ernst Schreckenberg, geb. 1947:
Gründer und langjähriger Leiter des Kommunalen Kinos in Dortmund. Gleichzeitig auch Leiter des Bereichs Politische Bildung an der dortigen Volkshochschule. Dort zahlreiche filmanalytische und filmhistorische Seminare, schwerpunktmäßig auch in der Lehrerfortbildung. Häufig Referent beim Symposium in Mannheim. Stetige publizistische Tätigkeit, zuletzt „Staatspolitisch wertvoll. Die Kinos im Rheinland und Westfalen in der NS-Zeit“. Lebt im Ruhestand in Paderborn.
Fr. 06.10.2923, 15:30 Uhr

Daniel Rafaelic, Filmhistoriker und Ägyptologe, Zagreb, Kroatien
Vortrag 2
Cinematic Amarna: Imagining Ancient Egyptian Capital for a Silver Screen
Der in englischer Sprache gehaltene Vortrag schildert die fast hundertjährige Geschichte der filmischen Reproduktionen von Achateton, der ägyptischen Hauptstadt in der Zeit von Echnaton und Nofretete, auch bekannt als Amarna. Die Rekonstruktionen der Hauptgebäude, Paläste und Wanddekorationen der Stadt für Spielfilme veränderten sich entsprechend den Fortschritten archäologischer Entdeckungen, aber auch nach Politik und Ideologie. Zusätzlich zu Beispielen aus der Filmgeschichte werden Fernsehen, Animation und Videospiele herangezogen, die zeigen, dass und wie Amarna als Matrix diente für die Darstellung jeder alten ägyptischen Stadt.
Daniel Rafaelić, geb. 1977:
Filmhistoriker und Ägyptologe, ist Autor zahlreicher Bücher, Aufsätze, Ausstellungen und öffentlicher Vorträge aus beiden Fachgebieten. Als Leiter der Filmkonservierung arbeitete er für die Kroatische Kinemathek, war aber auch Direktor des Kroatischen Audiovisuellen Zentrums – des Kroatischen Filmfonds. Für seine Forschung zum Filmerbe wurde er in Zagreb, Belgrad und Ljubljana ausgezeichnet. Im Jahr 2005 schrieb und inszenierte er den Dokumentarfilm „The Other Side of Welles“, der beim Locarno Film Festival uraufgeführt wurde.
Buchveröffentlichungen als Filmhistoriker unter anderem: „Cinema and the Swastika“ (2007, Co-Autor, Willy-Haas-Preis); „Expressionism in the Cinema“ (2016, Co-Autor); Kinematografija u NDH (2013, über Filmpropaganda im Kroatien des Zweiten Weltkriegs); „Orson Welles on Hvar“ (2018, Co-Autor), „The Phantom of Durmitor“ (2022, über die Entstehung des deutschen Films „Das Lied der schwarzen Berge“).
Ab 2022 im Auswahlgremium für den Golden Globes Award.
Buchveröffentlichungen als Ägyptologe unter anderem: „Temples Claimed From The Nile“ (2019); „A History of World Egyptology“ (2021, Co-Autor); 2023 erscheint sein Buch über das alte Ägypten und das Kino.
Sa. 07.10.2023, 09:15 Uhr

Ralf Michael Fischer, Kunsthistoriker, Filmwissenschaftler, Tübingen
Vortrag 3
Die Dominanz des Dekors bei Stanley Kubrick von der „Patina der Vergangenheit“ zu „unmöglichen“ Architekturen der Zukunft
Das Set Design, die Kostüme und die Maske in Stanley Kubricks Filmen entspringen einem perfektionistischen Realismus-Anspruch, der zur stilisierten Wirkung seiner Filme einen erheblichen Beitrag leistet. Mehr noch: Diese Elemente filmischer Gestaltung beanspruchen nicht selten mehr Aufmerksamkeit als die Figuren und können sogar den Rang von Protagonist*innen einnehmen. Anhand von markenten Beispielen aus Filmen wie „2001“, „A Clockwork Orange“, „Barry Lyndon“ oder „The Shining“ diskutiert der Vortrag Kubricks ungewöhnliche filmische Praxis und die herausragende Rolle des Dekors innerhalb seiner Filme.
Priv.-Doz. Dr. Ralf Michael Fischer
Studium der Kunstgeschichte und Germanistik in Tübingen und an der University of Massachusetts in Amherst. Mitarbeit bei den Französischen Filmtagen in Tübingen von 1993 bis 1998. 2001 bis 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent an den Kunstgeschichtlichen Instituten in Marburg, Frankfurt, Tübingen und Trier. Seit 2018 Leiter des Museums Langenargen und freiberuflicher Kurator.
2006 Promotion in Kunstgeschichte über die Konstruktion von Raum und Zeit im Œuvre Stanley Kubricks, 2018 Habilitation in Kunstgeschichte über die Darstellung und Reflexion der nordamerikanischen Frontier zwischen 1725 und 1930.
Arbeitsschwerpunkte: Bildkünste und -medien seit 1800; nordamerikanische Kunst seit dem 17. Jahrhundert; Intermedialität; Film; Fotografie, documenta-Geschichte, Kunst und Ökologie; Lehrveranstaltungen zu Malerei, Fotografie und Film (u. a. Kurosawa, Kubrick, Film Noir und Neo-Noir, französisches Kino der 1960er Jahre, Ingmar Bergman, Essayfilm, Western). Publikationen zu Antonioni, Kurosawa, Kubrick, Anthony Mann, Edward Hopper und Jackson Pollock.
Sa. 07.10.2023,, 10:45 Uhr

Sebastian Soukup, Szenenbildner, Berlin
Werkstattbericht 1:
What You Don`t Want to See – Matters of Perspectives or Eurocentric Blinders
Der vermessene Mensch“ und die Entstehung seines Szenenbildes
„Der vermessene Mensch“ behandelt als erster deutscher Kinofilm die mutwillig vergessene, schockierende Kolonialgeschichte in Afrika um 1900. Gedreht an originalen Schauplätzen und in enger Kooperation mit indigenen Namibianern entstanden, wirft insbesondere die Produktionsgeschichte des Szenenbildes fundamentale Fragen zu eurozentrischen Sichtweisen auf die Welt, auf Humanität, Spiritualität, Natur und Umwelt auf. Der Referent wird aus der praktischen Arbeit am Set davon berichten, wie aktuell und brisant sich die Aufarbeitung der leidvollen Geschichte aus der Perspektive vor Ort in Namibia, beim Planen und Umsetzen des Projektes darstellte. Mit bestürzenden wie auch hoffnungsvollen Eindrücken wird die Rezeption des Films kritisch bereichert.
Sebastian Soukup:
Diplom-Architekturstudium an der Universität der Künste Berlin (UdK).
1997 - 2000 Arbeit als Architekt und Bühnenbildner. Seit 2020 Production Designer und Art Director für große deutsche und internationale Spielfilmproduktionen. Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Regisseur*innen wie Larry Charles, David Cronenberg, July Delpy, Lars Kraume, Kilian Riedhoff, Stefan Ru, Jonas Åkerlund, Detlev Buck, Christoph Schlingensief, Marten Persiel, Volker Schlöndorff, Wim Wenders.
Zahlreiche Lehrtätigkeiten: DFFB, Filmakademie Ludwigsburg, Filmuniversität Babelsberg, Met Film School Berlin, Bauhaus Universität Weimar, Kunsthochschule Weißensee, TU Berlin, Universität Stuttgart. Professur für Production Design an der ifs Köln.
Sa. 07.10.2023, 16:30 Uhr

Monika Hinz, Kostümbildnerin, München
Werkstattbericht 2
Realismus oder Stilisierung?
Kostüm-Recherche zum Film „Ein Dorf wehrt sich“ von Gabriela Zerhau (2019)
Wie stellt man das dramatische Geschehen dar, das sich 1945 im Salzbergwerk Altaussee in Österreich ereignete: Nazis haben tausende von Kunstschätzen im Salzbergwerk versteckt, Bergarbeiter widersetzen sich unter Einsatz ihres Lebens und mit Unterstützung von Partisanen Hitlers Befehl, das Bergwerk zu sprengen, während der Ort gleichzeitig als Zuflucht für höchste Nazis (u.a. Eichmann) dient. Und dies alles in einer Naturkulisse, die in ihrer Schönheit und Erhabenheit überwältigend ist
Wie sah da die Realität 1945 aus? Wie ziehe ich die Bergarbeiter an, wenn es von ihnen so gut wie keine Abbildungen gibt? Welches Farbkonzept hat ein Film, der sowohl 1000 Meter tief in einem Berg spielt als auch im gleißenden Licht eines Partisanenverstecks auf schneebedeckten Berggipfeln? Diese Herausforderungen waren einzigartig in meiner Laufbahn, „Realismus oder Stilisierung“ war in jeder Phase eine fundamentale Gestaltungsfrage.
Monika Hinz:
Geboren am Bodensee, aufgewachsen in Istanbul und Hamburg. Studium Modedesign an der HDK Bremen. 1,5 Jahre Festanstellung als Modegrafikerin in einer Werbeagentur in HH.
Hospitanz an der Schaubühne Berlin. Assistentin von Gisela Storch und Claudia Bobsin. Seit 1990 arbeitet sie selbstständig als Kostümbildnerin in 60 Filmen und Serien. Fernsehpreis 2009 für „Die Wölfe“, Preis der Deutschen Akademie für Fernsehen für „Weissensee“.
Seit 2007 Kostümbild-Seminare an der Hamburg Media School.
Sa. 07.10.2023, 18:00 Uhr

Silke Buhr, Szenenbildnerin, Berlin
Werkstattbericht 3
Das Haus als Charakter
Einblick in die filmische räumliche Übersetzung der Szenografie
Die Szenografie entwickelt ein räumlich-dramaturgisches Bild, analog zur Filmhandlung. Entsprechend dem Grundsatz „ein Bild kann mehr ausdrücken als 1000 Worte“ bedient es sich anderer Methoden und visueller Möglichkeiten als das geschriebene oder gesprochene Wort, um eine Stimmung oder Erzählung in einen immersiven Kontext zu setzen, die mit dem Zuschauer kommuniziert und eine emotionale, aber doch oft eher unbewusste Empfindung hervorruft und damit zusammen mit der Sound- und Licht-Bildgestaltung die magischen Möglichkeiten des filmischen Ausdruckes vollendet.
Anhand von eigenen Gestaltungs- und Ausstattungsarbeiten („Das Leben der Anderen“, „Poll“, „Werk ohne Autor“), aber auch unter Verweis auf große, international bekannte Produktionen („Parasite“) stellt Silke Buhr dar, wie ein Haus oder eine Wohnung einen besonderen für die Geschichte bedeutenden Stellenwert bekommen kann.
Silke Buhr:
Prof. Silke Buhr, Dipl.-Ingenieurin (FH) Innenarchitektur und Diplom-Szenenbildnerin, zeichnet für bisher über 50 Szenenbilder bei diversen nationalen und internationalen preisgekrönten Spielfilmen und Serienformaten verantwortlich, darunter den mit einem Oscar prämierten Film „Das Leben der Anderen“, für den sie auch 2006 den Deutschen Filmpreis für das beste Szenenbild erhielt, genauso wie 2011 für den Film „Poll“, 2015 für „Who Am I – Kein System ist sicher“ und 2020 für „Berlin Alexanderplatz“, der im Wettbewerb der 70. Internationalen Filmfestspielen in Berlin seine Premiere feierte. Silke Buhr ist Mitglied der Deutschen Filmakademie und der Academy of Motion Picture Arts and Science.
Seit 2009 lehrte sie an der Hochschule Hannover Medien und Design, von 2015 bis 2021 an der Filmakademie Ludwigsburg und seit 2021 an der Filmuniversität „Konrad Wolf“ in Potsdam / Babelsberg.
So. 08.10.2023, 09:30 Uhr

Jens Bartram, Maskenbildner, Berlin
Werkstattbericht 4
Was Frisur und Make-up im Maskenbild erzählen
Entwicklungen von Charakteren im Film
Anhand von Beispielen aus verschiedenen Projekten vermittelt der Vortrag, wie die Erarbeitung und Entwicklung von Charakteren im Maskenbild entsteht. Frisuren erzählen uns sofort, in welcher Epoche wir uns bewegen. Beim Make-up gibt es verschiedene Techniken, um einen Charakter zu unterstreichen oder hervorzuheben. In „Die Spiegel Affäre“ war es z.B. die Herausforderung, Francis Fulton-Smith zu Franz Josef Strauß mutieren zu lassen. In der sechsteiliegen TV-Produktion „Die neue Zeit“ ging es darum, die Aufbruchsstimmung der jungen Studenten der 1960er nahezukommen. In „Unorthodox“ musste die Chassidische Community gestaltet werden.
Jens Bartram:
Geboren im Rheinland, seit vierzig Jahren als Maskenbildner tätig. Nach seinen Anfängen beim Theater begann er seine Karriere in der Film- und Fernsehbranche mit dem historischen Kinofilm „Nostradamus“. In den vergangenen dreißig Jahren folgten über achtzig sowohl nationale als auch internationale Fernsehfilme, -serien und Kinoproduktionen. Bartram hat eine gewisse Vorliebe für historische Stoffe, ohne sich dabei für Zeitgenössisches weniger zu interessieren.
Auswahlfilmographie seit 2014: „War Sailor“ (Kinofilm, Norwegen 2022); „Unorthodox“ (Miniserie, Deutschland 2020); „Traumfabrik“ (Kinofilm, Deutschland 2019“; „Die neue Zeit“ (Serie, Deutschland 2019); „Das schweigende Klassenzimmer“ (Kinofilm, Deutschland 2018); „Die Spiegel-Affäre“ (Fernsehfilm, Deutschland 2014), „La Belle et la Bête“ (Kinofilm, Frankreich 2014).
So .08.10.2023, 11:00 Uhr:

Kristina Jaspers, Kunsthistorikerin und Philosophin, Berlin
Vortrag 4
Metropolis, Blade Runner & Beyond
Filmische Stadtvisionen zwischen Dystopie und Verheißung
Unsere Vorstellung von der Stadt der Zukunft wird wesentlich durch Science Fiction geprägt. Mode, Technologie und Architektur imaginieren wir in der Weise, wie Filmschaffende diese scheinbar prophetisch auf die Leinwand bringen. Fritz Langs „Metropolis“ (1927) und Ridley Scotts „Blade Runner (1982) zählen zu den einflussreichsten Filmen der Filmgeschichte. Stilbildend ist vor allem ihre Konzeption einer vertikalen Großstadt mit schwindelerregenden Hochhäusern, rasanten Schnellbahnen und grellen Leuchtreklamen. Welche Verheißungen und Abgründe totalitärer Stadtgebilde werden im Zusammenspiel von Production Design, Kostümbild und Figurenzeichnung sichtbar und welche Perspektiven auf utopische Alternativen öffnen sich dadurch?
Kristina Jaspers:
Kristina Jaspers studierte Kunstgeschichte und Philosophie in Hamburg und Berlin. Seit 2001 ist sie Kuratorin der Deutschen Kinemathek Berlin, wo sie über 20 Ausstellungen verantwortete, u.a. zur Intermedialität von Film und Kunst sowie zum Spannungsfeld von Kinematografie, Philosophie und Psychoanalyse. Zuletzt: „Kino der Moderne. Film in der Weimarer Republik“ (2018/19) und „Werner Herzog“ (2022).
Sie lehrt an verschiedenen Hochschulen und hält regelmäßig Vorträge und Workshops zur Ausstellungstheorie und -praxis.
Zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Szenenbild und Futuristik, unter anderem: „Bigger Than Life. Ken Adam‘s Film Design“ (Mit-Hg., 2014), „Things to come. Science · Fiction · Film“ (Mit-Hg., 2016), „Future Worlds. Science · Fiction · Film“ (Mit-Hg., 2017), „Künstlerischen Positionen der Filmarchitektur“, In: Filmarchitektur 1918–1933 (2019).
So. 08.10.2023, 12:30 Uhr